Science: Humangenetiker entdecken “verstecktes” Syndrom
24.03.2016 - Forscher der Uni Bonn: Durchbruch bei der Klärung der genetischen Hintergründe von Gaumenspalte.
Humangenetiker entdecken “verstecktes” Syndrom Forscher der Uni Bonn: Durchbruch bei der Klärung der genetischen Hintergründe von Gaumenspalten
Unter dem Van der Woude-Syndrom wird eine seltene Spezialform der Lippen- und Gaumenspalten zusammengefasst. Ein Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn konnte nun zeigen, dass sich unter Patienten mit nicht-syndromal erscheinenden Gaumenspalten Träger einer Genmutation für das Van der Woude-Syndrom „verstecken“. Die Wissenschaftler stellen ihre Ergebnisse nun im „The American Journal of Human Genetics“ vor.
Bei den Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und reinen Gaumenspalten handelt
es sich um eine Gruppe von Fehlbildungen, bei denen während der
Embryonalentwicklung die Mundpartie nicht richtig zusammenwächst.
Ursachen sind vor allem genetische Faktoren, Umwelteinflüsse – zum
Beispiel das Rauchen – spielen eine eher untergeordnete Rolle. Meist ist
die Spaltbildung die einzige Auffälligkeit der Betroffenen, das nennen
Wissenschaftler „isoliert“. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und
Gaumenspalten können aber auch zusammen mit anderen Fehlbildungen im
Zuge eines Syndroms auftreten.
Eine „syndromale“ Spezialform ist
das Van der Woude-Syndrom, bei der neben einer Lippen- oder Gaumenspalte
charakteristische runde Grübchen der Unterlippe vorliegen. „Dies ist
insgesamt ein vergleichbar mildes Syndrom“, sagt Privatdozentin Dr. med.
Elisabeth Mangold vom Institut für Humangenetik der Universität Bonn.
„Weitere Symptome bestehen nicht, die Probleme beim Van der
Woude-Syndrom unterscheiden sich praktisch nicht von den Problemen bei
isolierter Spalte.“
Da Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und auch reine
Gaumenspalten erblich sind, kommen Betroffene mit Kinderwunsch oft in
die humangenetische Sprechstunde am Universitätsklinikum Bonn (UKB).
Dann wird die Frage gestellt, wie hoch die
Wiederholungswahrscheinlichkeit für eine Spaltbildung beim Nachwuchs
ist. Bei der nicht-syndromalen Spaltbildung liegt dies typischerweise
unter zehn Prozent, meist sogar unter fünf Prozent. Bei der
nicht-syndromalen Gaumenspalte wurde das Risiko im Einzelfall aber
teilweise unterschätzt, wie nun die Humangenetiker herausgefunden haben.
Schon
länger hatten die Forscher die Vermutung, dass sich unter den Patienten
mit scheinbar nicht-syndromalen Spalten unerkannte milde Syndrom-Formen
„verstecken“. In Kooperation mit ihren Kollegen von den Universitäten
Bonn, Leipzig, Göttingen, Köln und Ulm sowie der Humboldt-Universität
Berlin, der Asklepios Klinik Nord in Hamburg und Forschern in Riga
(Lettland), London (England) und Thamar (Jemen) untersuchten sie nun das
Erbgut von zahlreichen Patienten mit nicht-syndromal erscheinenden
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und reinen Gaumenspalten auf Mutationen im
GRHL3-Gen, einem Gen für das Van der Woude-Syndrom.
Forscher nahmen Basenpaar für Basenpaar unter die Lupe
Basenpaar
für Basenpaar nahmen die Forscher diese Erbanlage unter die Lupe. „Zwei
wichtige Ergebnisse haben wir erzielt: Erstens leistet eine milde
Variante in diesem Gen einen Beitrag zur Entstehung nicht-syndromaler
Gaumenspalten. Und zweitens haben wir bei neun Personen aus vier
Familien starke Mutationen in diesem Gen gefunden“, sagt Dr. Kerstin U.
Ludwig vom Institut für Humangenetik und dem Life & Brain Zentrum
der Universität Bonn. Alle Mutationsträger haben reine Gaumenspalten,
ihnen fehlen jedoch die typischen Grübchen an der Unterlippe. Weil
dieses charakteristische Symptom fehlt, waren sie nicht als Patienten
mit Van der Woude-Syndrom erkannt worden. Die Wissenschaftler werten
ihre Ergebnisse als Durchbruch in der Erforschung der nicht-syndromalen
Gaumenspalte – über deren genetische Ursachen ist bislang kaum etwas
bekannt gewesen.
Wichtiger Befund für die humangenetische Beratung
„Unser
Resultat ist wichtig für die genetische Beratung“, sagt Dr. Mangold.
„Die Wahrscheinlichkeit für eine Spaltbildung im Gaumen ist bei den
Kindern von Trägern einer GRHL3-Genmutation nämlich viel höher als bei
der nicht-syndromalen Gaumenspalte.“ Die Wahrscheinlichkeit für eine
Gaumenspalte bei GRHL3-Mutation beträgt etwa 70 Prozent, außerdem
besteht ein erhöhtes Risiko für eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Es kann
daher sinnvoll sein, auch bei scheinbar nicht-syndromaler Gaumenspalte
nach Mutationen in diesem „Syndrom-Gen“ zu suchen. Insgesamt sind
Mutationen im GRHL3-Gen aber selten, und selbst bei Nachweis dieses
„versteckten“ Van der Woude-Syndroms muss man wissen, „dass sich die
Spalten im Mundbereich heutzutage sehr gut operativ behandeln lassen“,
sagt Dr. Mangold.
Publikation: Sequencing the
GRHL3 coding region reveals rare truncating mutations and a common
susceptibility variant for nonsyndromic cleft palate, The American
Journal of Human Genetics, Internet: http://dx.doi.org/10.1016/j.ajhg.2016.02.013
Kontakt für die Medien:
PD Dr. Elisabeth Mangold
Institut für Humangenetik
Universität Bonn
Tel. 0228/28751008
E-Mail: [Email protection active, please enable JavaScript.]
Pressemeldung der Universität Bonn: https://www.uni-bonn.de/neues/052-2016